„Künstler der Zukunft“ von Nikolai B. Forstbauer, Stuttgarter Nachrichten, 09.02.2023

03.02.2023 - 17.03.2023

Solo Show „Tim Berresheim. Der Cicerone und der Phönix“

Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff, Stuttgart

Tim Berresheim gehört zu den spannendstenn Gegenwartskünstlern – davon kann man sich jetzt in der
Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff überzeugen.

STUTTGART. Dieser Mann macht Eindruck. Darf man das noch sagen? Tim Berresheim lacht. Es ist ein offenes Lachen. Ein Kerl muss eine Meinung haben, heißt es in Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Ein Kerl ist dieser Tim Berresheim wohl, eine Haltung, sprich, eine Meinung, hat er auch. „Künstliche Intelligenz interessiert mich nicht“, sagt er. „Nicht für meine Arbeit jedenfalls.“ Wie das? Bewegen wir uns vor und in seinen Bildräumen etwa nicht in rein digitalen Gefilden? „Stimmt“, sagt Berresheim, „aber ich steuere jeden Millimeter.“

Das fasziniert auch das Luxemburger Sammlerpaar Stefanie und Patrick Majerus. 2018 begeistern sie sich für Berresheims Arbeiten in der Kunstmuseum-Ausstellung „Mixed Realities“ und geben 2022 acht Werke als Schenkung nach Stuttgart. Heute über solche Großzügigkeit „noch immer begeistert“, sagte Kunstmuseum-Direktorin Ulrike Groos seinerzeit: „Dass Stefanie und Patrick Majerus diese faszinierenden Arbeiten dem Kunstmuseum Stuttgart überlassen, ist eine große Anerkennung für unsere Arbeit.“ Und die Berresheim-Freude im Kunstmuseum geht weiter: Die Sammlung Oehmen im
Rheinland half jüngst „den Berresheim-Bestand in unserer Sammlung auf großartige Weise wachsen zu lassen“, so Ulrike Groos.

Fäden in der Hand behalten, auch wenn sie scheinbar ihr Eigenleben führen – der Aachener Tim Berresheim ist ein Virtuose darin. In Heinsberg ist er geboren, 1975. Studiert hat er bei Johannes Brus in Braunschweig und bei Albert Oehlen in Düsseldorf. Wichtiger als die Namen ist das mit ihnen verbundene Verständnis von Kunst. Tief gehen. Abgründe wagen. Und doch: Die Kunst als Kunst feiern und ja – dem
Bildnerischen vertrauen.

„Die Kunst, die ich mag“, sagt Tim Berresheim, „ist meist sehr
überbordend“ – und verweist unter anderem auf das Werk des US-Amerikaners Mike Kelley, aber auch auf „die Kunst des
Barock“. Und jetzt, wenn Berresheim nicht erläuternd, sondern voller Neugierde auf die ersten Reaktionen in seiner jüngst eröffneten Ausstellung „Der Cicerone und der Phönix“ in der Stuttgarter Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff (Paulinenstraße 47) steht, hört man ihn förmlich diesen Satz erneut sagen: „Ich mag die Idee, dass man aus allen Rohren gleichzeitig schießen kann.“

Vor allem dann, möchte man entgegnen, wenn man weiß, wie sich die Kugeln pulverisieren lassen, aus Geschossen Farbnebel werden, aus den Gefahr bringenden Bahnen abenteuerlichste Wege durch immer neue Raumebenen. Deren Sogwirkung verdankt sich einem einfachen Prinzip: Nichts in Berresheims mit unfassbar großen Rechenleistungen erarbeiteten Bildern ist geschichtet, nichts ist addiert. „Die Collage“, sagt er, „ist nicht mein Thema.“ Ablesbar ist stattdessen das Ideal des einen Raums, aus dem sich alles entwickelt, in dem sich alles abspielt.

Kommt hier der Cicerone aus dem Ausstellungstitel ins Spiel, der kulturhistorische Fremdenführer? Der Kunstwissenschaftler Hans Dieter Huber, bis 2020 Professor an der Stuttgarter Kunstakademie, weist auf anderes hin: „Die große Mehrzahl der Bilder“, so Huber, „besitzt Referenzen zu älteren Werken des Künstlers. Sobald man sie kennt, kann man sie auch sehen. Dafür benötigt man aber den Cicerone, den Fremdenführer im Bild und vor dem Bild.“

Warum aber nicht dem Phönix vertrauen, dem magischen Vogel, Sinnbild nicht zuletzt radikaler Verwandlungen? Oder mit den Worten des Galeristen Reinhard Hauff: „Ich mag an diesen Arbeiten, dass es einfach verdammt gute Bilder sind, in denen ich immer Neues entdecken kann.“ Etwa, wie eine
Lichtquelle aus sich selbst heraus einen Bildraum erleuchten und nach allen Seiten ausleuchten kann. Beispielhaft führt „Das Gastspiel“ Tim Berresheims Spiel mit Zeit-, Erinnerungs-
und Raumebenen vor – Kunstgeschichte seit der Zeit, da der 1649 mit nur 25 Jahren gestorbene Genueser Giovanni Battista Bracelli dem Geheimnis Mensch durch eine ganz eigene Mechanisierung der Gelenke auf die Spur zu kommen suchte.

Es ist Bracellis Menschengerüst, das nun als Cicerone durch Berresheims Bildräume wandert, flieht und doch auch vagabundiert. Denn bei aller Präzision, bei aller bewussten Unzufälligkeit hält Tim Berresheim doch auf eigene Weise dem Geheimnis die Türe weit offen. Spielt Berresheim auch darauf an, wenn er sagt, die Beschäftigung mit seinen neuen Arbeiten habe ihn für sich das Bild von einer Steinzeithöhle entwickeln lassen? Und zielt er zudem darauf, dass im klugen Ausstellungspanorama älterer und aktueller Arbeiten deutlich wird, dass er auf die frühere Ausgliederung eines einzelnen Elements mit der immerwährenden Eingliederung des Ganzen (und in das Ganze) antwortet?

So erweist sich die tatsächlich als Ganzes zu lesende Ausstellung „Der Cicerone und der Phönix“ in der Stuttgarter Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff zuletzt als ein Selbstporträt von Tim Berresheim. Der Künstler ist zugleich Musiker und Produzent. Er weiß, welchen Ton er anschlagen muss, um das Tänzeln zu halten. nbf



Künstler: Mit 25 hat sich Tim Berresheim für das Studium an einer Kunsthochschule entschieden – erst in Braunschweig, dann in Düsseldorf. Er lebt und arbeitet in Aachen. Aktuell bereitet er eine Museumsausstellung für 2024 in Düsseldorf vor.

Musiker: Anfang der 2000er Jahre entstehen Produktionen mit Kunststar Jonathan Meese, aktuell veröffentlicht Tim Berresheim Stücke und Alben mit seiner Band „Die Wait Watchers“. In Aachen ist Berresheim fester Teil der Clubszene.

Produzent: Mit den eigenen Studios New Amerika produziert Tim Berresheim ebenso Musik- und Bühnenprojekte wie Inszenierungen für den öffentlichen Raum. Hier nutzt Berresheim vor allem die Möglichkeiten der Augmented Reality. red

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D – 70178 Stuttgart

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