Interview: Künstler Tim Berresheim – „Der Computer ist ein Schmelztiegel“

13.05.2024 - 13.05.2025

Text: Justine Konradt

Monopol. Magazin für Kunst und Leben, Oktober-Ausgabe

Ist das digitale Malerei? High-End-Fotografie? Tim Berresheims Bilder entstehen am Computer in hochkomplexen Programmen, mehrere Monate lang arbeitet er an einem einzigen Druck. Wir haben mit dem Künstler über sein Werk und seine Tools gesprochen.

In Tim Berresheims Arbeiten treffen Zeichnungen auf digital generierte Elemente. Wenn alle Simulationen programmiert und Informationen ausgelesen sind, werden die Daten an Render-Farmen gegeben, wo sonst aufwendige 3-D-Filmproduktionen entstehen. Hunderte Rechner arbeiten dort an der Herstellung eines Bildes. In der Retrospektive "Neue alte Welt" lässt das Düsseldorfer NRW-Forum die letzten 25 Jahre von Berresheims Kunst Revue passieren. Wir trafen den 1975 geborenen Künstler vor Ort und sprachen mit ihm über eine Höhlen-Expedition, den Einsatz des Computers und ein Kunstwerk, das in den Himmel gezeichnet wurde.

Herr Berresheim, wenn man sich über Ihre Kunst informiert, stolpert man über den Begriff der "Künstlerischen Gegenwartsarchäologie". Was ist damit gemeint?

In unserer zunehmend komplexen Welt gibt es immer mehr Verborgenes, das aktiv ans Licht gebracht und diskutiert werden muss. In meiner Arbeit geht es darum, durch den Einsatz von Technologie Prozesse der Bildfindung zu entdecken, zu beleuchten und zu präsentieren.

Für Ihr Kunstverständnis ist die Arbeit mit den neuesten Technologien und computerbasierten Bildern essenziell. Woher kommt Ihr Interesse an digitalen Arbeitsweisen und digitaler Kunst?

Die Arbeit mit dem Computer und der Technologie in der Kunst ist trotz 60 Jahren Umgangs mit der Thematik ein noch recht unbestelltes Feld. Das macht es für mich so interessant. Da kann man im Sinne der Bildfindung einfach noch viel rausholen und entdecken. Ich habe auch eine Zeit lang Informatik studiert, Mathe fiel mir schon immer leicht, das ermöglicht mir den Zugang. Wobei ich mich mit der Wissensvermittlung in der Schule sehr schwergetan habe und mir die Welt früh autodidaktisch erschlossen habe. Dazu passt eben auch dieser unerforschte Bereich der digitalen Kunst, in dem ich meine Methoden durch ständiges Ausprobieren und Experimentieren entwickeln muss.

Mit digitaler Kunst assoziiert man schnell immersive Ausstellungen mit verschiedenen Animationen. In Ihrer aktuellen Ausstellung "Neue alte Welt" im Düsseldorfer NRW-Forum sind aber in erster Linie Bilder, Zeichnungen und Skulpturen zu sehen. Ist das mit der "alten Welt" gemeint – herkömmliche Darstellungsformen?

Ja durchaus, wobei ich mich auch ein Stück weit der Zuschreibung "digitale Kunst" verwehren würde. Der Computer und damit auch die Digitalität spielen eine Rolle im Entstehungsprozess, sie sind meine Werkzeuge. Aber sie machen eigentlich nur einen kleinen Prozentsatz aus. Am Ende des Tages hängen in meiner Ausstellung lauter Tafelbilder, die in traditionellen Druckverfahren entstanden sind. Das ist die alte Welt: vertraute Techniken und Vorstellungen von Kunst. Und dann haben wir jetzt aber auch neue Möglichkeiten durch die ganzen Computertechnologien.

In Ihrer Kunst dreht sich viel um den Kontrast von archaischen Motiven und modernen Methoden. Und so geben die Wände des ersten Ausstellungsraums auch eine Art Urzeithöhle wieder. Was hat es damit auf sich?

Zu sehen ist das Ergebnis einer einwöchigen Exkursion zu den UNESCO-Welterbe-Höhlen auf der Schwäbischen Alb. Dort wurden die frühesten figurativen Kunstwerke und die ältesten weltweit bekannten Musikinstrumente gefunden - unter anderem von dem prähistorischen Archäologen Nicholas John Conrad, mit dem ich für dieses Projekt auch zusammengearbeitet habe. Gemeinsam mit meinem Team bin ich den Höhlen 2022 mit einem Laserscanner und einem binauralen Audioset auf den Leib gerückt. Vor Ort haben wir zehn Milliarden Datensätze aufgenommen, mit 70 Milliarden Datensätzen sind wir letztlich nach Hause gefahren. Es hat dann aber nochmal eineinhalb Jahre für das Schreiben und Ausrechnen der Datensätze gebraucht, bevor die Museumswände visuell zu Höhlenwänden werden konnten.

Aber wie passen diese alten Höhlen zu Ihrer modernen und progressiven Kunst?

Für mich gibt es eine Analogie zwischen den frühzeitlichen Menschen, die sich den neuen Wohnraum Höhle aneignen mussten, und den heutigen Menschen in ihrer digitalen Höhle. Auch wir müssen gucken, wo es lebenswert und wo es gefährlich ist. Wir halten gerade die Taschenlampe an unterschiedliche Stellen der digitalen Höhle und gucken nur mal kurz. Wir haben weder den Überblick über die ganzen Möglichkeiten, noch wissen wir, was das für Orte sind. Wir werden erst noch feststellen, was die guten und was die schlechten Orte sind.

In Ihrer Ausstellung machen Sie durch dokumentarische Videos oder auch Skizzen transparent, wie der technische Entstehungsprozess aussah. Auch bei dem Projekt mit den Urzeithöhlen. Warum ist das wichtig für Sie, warum nicht die Kunst für sich sprechen lassen?

Das ist deshalb wichtig, weil wir es nicht mit offensichtlichen Prozessen zu tun haben. Über Jahrhunderte haben wir gelernt, wie beispielweise Malerei und Fotografie funktionieren und können das einordnen. Bei computerunterstützter Kunst ist das anders. Deshalb mache ich letztlich auch Graswurzelarbeit und versuche ein Verständnis dafür zu fördern, welche Prozesse zu meinen Bildern geführt haben. Denn man muss die Methodiken kennen, um den äußeren Kulturrahmen überhaupt stecken zu können. Erst dann können wir uns auch die relevanten Fragen stellen: Sind das Prozesse, die uns tragen? Sind sie mehrheitsfähig? Passiert eine interessante Transformation oder ist das alles öde und doof? Das können wir vorher noch nicht entscheiden.

Um an Ihre Kunstwerke zu kommen, besuchen Sie nicht nur Urzeithöhlen, sie arbeiten auch mit Kindern?

Ja, ich hatte schon einige Projekte mit Kindern. In den letzten sechs Jahren habe ich viel daran geforscht, was es für partizipative Prozesse an der Schnittstelle von analog und digital gibt. Also Arbeiten, die ich nicht allein im Haus realisieren kann, sondern wo es darum geht, auch andere Leute mit auf die Reise zu nehmen. Und dazu gehörte beispielsweise auch mein letztes Projekt mit Kindern, das den Titel "Himmelszeichnerei" trägt. Da habe ich Grundschüler gebeten, mir Einlinienzeichnungen mit Kreide zu kreieren. Also Zeichnungen, bei denen der Stift nicht abgesetzt wird.

Damit war das Projekt aber noch nicht zu Ende.

Genau, weiter ging es auf dem Flugplatz Aachen-Merzbrück. Dort hat Pilot Walter Kampsmann die Zeichnungen der Kinder mit Rauch in den Himmel geflogen. Die Maschine wurde mir zuvor von der FH Aachen mit allerlei Sensoren ausgestattet, die mir einen riesigen Datenstrom an gyroskopischen Kräften, PS und GPS geliefert haben. Die Kinder waren auch mit ihren Eltern vor Ort. Zu heißer Wurst und kalter Limonade haben sie sich das Spektakel angeschaut. Sie haben dort aber auch nochmal Zeichnungen mit Buntstiften angefertigt. Ich habe letztlich dann den Datensatz von dem Flugzeug zerschnippelt und ihn mit den bunten Zeichnungen der Kinder kombiniert.

Daraus ist ein Kunstwerk geworden, das wie eine besonders zuckerhaltige Süßigkeit aussieht.

(lacht) Stimmt, wie ein buntes, langes Gummibärchen!

Die Ausstellung im NRW-Forum ist eine Retrospektive Ihrer Kunst aus den letzten 25 Jahren. Wie hat sich Ihre Kunst über diesen Zeitraum verändert?

Es gibt Themen, die sich durchziehen. Die Transformation hat mich beispielsweise auch schon immer auf bildlicher Ebene interessiert: Wie kann man den Fortschritt und den Übergang motivisch und im übertragenen Sinne darstellen? Das finde ich spannend. Visuell sind Früh- und Spätwerke oft nicht klar voneinander zu unterscheiden, weil ich versuche, viele meiner Techniken und Motive miteinander zu verzahnen. So entsteht auf der Basis von alten Arbeiten neue Kunst mit wiederkehrenden Motiven. Am stärksten verändert haben sich vermutlich meine Techniken mit dem Computer als Werkzeug. So etwas wie die "Himmelszeichnerei" wäre vor 20 Jahren noch nicht umsetzbar gewesen.

Sie sagen, dass Sie zu 90 Prozent analog und zu zehn Prozent digital arbeiten. Zehn Prozent digitale Arbeit klingt wenig – wie lange sitzen Sie aber tatsächlich am Computer für ein Kunstwerk?

Das variiert natürlich. Zu meiner Kunst gehören immer verschiedene Arbeitsschritte. Viel Zeit geht schon für das kognitive Planen und Konzipieren des entsprechenden Werks drauf. Ich muss mir ja auch überlegen, welche Regieanweisungen ich dem Computer gebe, damit ich nachher genau das Kunstwerk bekomme, das ich in meinem Kopf habe. Wenn ich an einer Studie oder an einer Skizze arbeite, sitze ich deutlich weniger vorm Computer als bei einem großen Werk, das über ein Jahr braucht. Da werden dann teilweise schon wochenlang Daten ausgerechnet. Dafür bin ich aber gut ausgerüstet, inzwischen habe ich 150 Computer-Prozessoren im Studio.

Wie muss man sich dabei die Rolle und Funktion Ihres Computers vorstellen – ist er ein Pinsel, eine Leinwand?

Das Ding ist formlos und muss erst in Form gedacht werden. Der Computer kann als eine Art Füllhorn verstanden werden, das unerlässlich ohne Murren und Knurren produzieren kann. Und dann ist er auf der anderen Seite aber auch ein Schmelztiegel, der unterschiedliche Ideen und Konzepte in eine Form gießt.

Lange Zeit existieren die Bilder nur auf dem Bildschirm. Wie kommen sie an die Wand?

In einem ersten Schritt muss ich entscheiden, als was mein Kunstwerk in die Welt treten soll. Und dann schaue ich mich relativ schnell nach einem geeigneten Produzenten um. Da ist das Fotolabor WhiteWall ein toller Kooperationspartner. Denn die Menschen hinter WhiteWall haben eine große Expertise wenn es um den Farbraum, die Auflösung und das Trägermaterial von Bildern geht. Sie denken immer schon einen Schritt weiter.



Abbildung: Tim Berresheim: „Tumbleweed Moon (Stage I, Auge & Welt)“, 2014, Foto: the artist.

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