10.04.2025 - 10.04.2026
Text by Stefanie Stadel
KulturKenner
Künstler und Computer-Freak – Tim Berresheim ist beides. Ein Autodidakt, der ständig auf technologische Neuigkeiten lauert, die sein Werk voranbringen können und unsere Wahrnehmung dabei mitunter auf erstaunliche Weise erweitern. Im Aachener Studio blinkt ein Riesenrechner, und Tim Berresheim erzählt. Zum Beispiel über sein jüngstes Projekt: Eine Augmented-Reality-Tour, die per Rad durchs Heinsberger Land führt. Vorbei an 17 Werken, die nur sehen und erleben kann, wer Handy oder iPad dabeihat.
Kein Farbgeruch in der Luft, keine unfertigen Bilder auf der Staffelei. Verschmierte Paletten und verklebte Pinsel fehlen. Kein Ton, der modelliert, keine Pappe, die geklebt wird. Stattdessen imponiert im Aachener Hinterhaus ein Koloss von Rechner, der, vom Boden bis zur Decke bunt blinkend, seine Arbeit tut. Tim Berresheims Reich: Es hat wenig vom klassischen Künstleratelier, viel mehr vom Firmensitz eines Kreativ-Unternehmens.
An diesem Vormittag sitzen nur zwei Mitarbeiter an Monitor und iPad. Doch mitunter sind es um die 20, die Berresheim bei der Verwirklichung seiner digitalen Ideen unterstützen und das organisatorische Drumherum erledigen. Zuletzt war das Team ein ganzes Jahr lang unter Hochdruck aktiv für das Heinsberger Land.
Für die Gegend, in der er groß geworden ist, hat der Künstler eine „Bilderreise“ entworfen, auf der sicher immer wieder auch Erinnerungen unterwegs sind. Per Fahrrad geht man auf Tour und begegnet auf der rund 90 Kilometer langen Route 17 virtuellen Werken. Sehen und erleben kann das Augmented-Reality-Spektakel allerdings nur, wer Smartphone oder Tablet dabei und am besten auch schon die passende App geladen hat.
Dann erscheinen die belebten Bilder: geisterhafte Gestalten, bewegte Objekte, digitale Collagen, surreale Arrangements erweitern die Wirklichkeit an ausgesuchten Orten – beim ehemaligen Kreuzherrenkloster Haus Hohenbusch etwa oder mit Blick über den romantischen Weiher, das Schloss und die Mühlen in Tüschenbroich. Berresheim: „Den Begriff der Heimat mit der Digitalität noch einmal neu zu besetzen, war für mich eine große Freude.“
„Wie kommen wir dahin, dass das Digitale nicht mehr als kühl und falsch betrachtet wird, sondern als integraler Bestandteil unserer Wahrnehmungswelt? Diese Frage beschäftigt mich.“
Tim Berresheim
Der Computer macht‘s möglich. Während unten im Aachener Firmensitz der blinkende Wunderturm mit 250 Rechenkernen mit daran arbeitet, unsere Wahrnehmung mit solch ausgeklügelten Projektionen anzureichern, steht eine Etage höher der Schreibtisch des Künstlers. Wenn er hier sitzt, ruht zu seinen Füßen ein präpariertes Krokodil. Und daneben an der Wand reihen sich Regale mit tausenden echten LPs – Musik mag und macht der Künstler auch.
Die Fenster hier oben im Büro sind verhängt, das Licht ist etwas schummrig. Genau so mag er es: „Ich habe einfach gerne meine Ruhe.“ Die ständigen Neuerungen im Digitalen, das sei für ihn aufregend genug: Jeden Tag neue Tools, jeden Tag neue Möglichkeiten, das Bild wieder anders zu bearbeiten. „Für mich ist es das maximale Abenteurertum, darin zu navigieren – die Außenwelt brauche ich dann nicht.“
Es liegt ihm, fortwährend dazuzulernen. Als Autodidakten und Euphoriker beschreibt sich Berresheim, spielgetrieben und spaßgesteuert. Davon lebt seine Kunst – seit den Anfängen. Mit dem Vorsatz, Filmemacher zu werden, hatte er 1999 das Kunststudium in Braunschweig aufgenommen, war dort aber schnell umgeschwenkt. Das Standbild erschien ihm nun interessanter. Und weil Berresheim der Link zum Digitalen reizte, wechselte er etwas später nach Düsseldorf. In die Klasse von Albert Oehlen, der schon damals für seine Kunst den Rechner nutzte.
„Gehst Du nach Düsseldorf und lernst, wie man mit dem Computer Bilder macht“, das habe er sich damals gedacht. Doch ganz so einfach war es nicht. Schon damals hat er sich das Meiste als Autodidakt aneignen müssen. Heute ist Berresheim 46 und weiterhin auf der Lauer, technologische Neuigkeiten aufzutun, die sein Werk voranbringen können.
Zum Beispiel, wenn er Foyers oder ganze Treppenhäuser mit digitalen Abenteuern tapeziert. Wie zuletzt in einem Düsseldorfer Unternehmens-Quartier. Vorangegangen waren viele Gespräche mit den Mitarbeitern: Was ist ihnen wichtig, wie erleben sie ihren Arbeitsalltag, was macht ihn interessant? Ein Jahr lang dauerte dieser partizipative Prozess. Und am Ende konnte sich wahrscheinlich jeder, der im Haus arbeitet, irgendwie wiederfinden in Berresheims großflächiger Wandarbeit.
Solche digitalen Werke wollen nicht mit allem Alten brechen. Den Computer setzt Berresheim hier eher als eine Art Schmelztiegel ein, in den traditionelle Bildmedien – Malerei, Fotografie – transformiert und zu etwas Neuem werden können. Eine Brücke zwischen Analogem und Digitalem schlägt dabei immer wieder die von Hand, quasi als Unikat, gestaltete Oberfläche der virtuellen Wesen. In akribischer Kleinarbeit wird die "Haut" der oft menschlich anmutenden Schöpfungen von einem Diese mehr oder weniger menschliche und traditionell künstlerische Zugabe mag dazu beitragen, dem Bild etwas von seinem coolen Computer-Image zu nehmen. Und genau das ist Berresheims Ziel: Er will, dass das heute oft noch als kühl und falsch betrachtete Digitale zum integralen Bestandteil unserer Wahrnehmung wird. Dazu fällt ihm Walt Disney ein. In den 1920er Jahren bereits habe der sich die Frage gestellt, wie die Menschen sich von seinen neuen Zeichentrickfiguren emotional anrühren lassen. Kann ein Bambi uns zum Weinen bringen?
Kann ein „Corona-Freundchen“ uns den Lockdown versüßen? So könnte die Frage heute lauten. Einen Versuch wäre es wert, hat Berresheim sich vielleicht gedacht und in den einsamen Monaten eine ganze Reihe solcher Kumpels entworfen, die man auch ohne Test und Mund-Nasen-Bedeckung unbesorgt in die Wohnung lassen kann. Dort stehen die virtuellen Wesen angetrunken im Flur herum, raven in der Küche, kauern im Kinderzimmer. Oder wecken im Wohnzimmer unseren Fitness-Ehrgeiz mit ihren tadellosen Liegestützen. Die Freundchen kommen ganz ohne Farbgeruch. Und wenn sie wieder gehen, bleiben garantiert keine Flecken auf dem Parkett.
Artist and computer freak – Tim Berresheim is both. A self-taught individual who constantly waits for technological innovations that can advance his work and sometimes expand our perception in astonishing ways. In the Aachen studio, a giant computer is blinking, and Tim Berresheim is talking. For example, about his latest project: An augmented reality tour that leads through the Heinsberg region by bike. Passing by 17 works that can only be seen and experienced by those who have a mobile phone or iPad with them.
No smell of paint in the air, no unfinished pictures on the easel. Smudged palettes and sticky brushes are missing. No sound of modeling, no cardboard being glued. Instead, a colossus of computers impresses in the back house of Aachen, brightly blinking from floor to ceiling, doing its work. Tim Berresheim's realm: It has little of the classic artist's studio, much more of the headquarters of a creative company.
On this morning, only two employees are sitting at the monitor and iPad. However, there are sometimes around 20 who support Berresheim in realizing his digital ideas and take care of the organizational matters. Recently, the team was active under high pressure for a whole year for the Heinsberg district.
For the area where he grew up, the artist has designed a "picture journey," on which there are surely many memories along the way. One can go on a tour by bicycle and encounter 17 virtual works along the approximately 90-kilometer route. However, the augmented reality spectacle can only be seen and experienced by those who have a smartphone or tablet with them and preferably already have the appropriate app downloaded.
Then the lively images appear: ghostly figures, moving objects, digital collages, surreal arrangements expand reality in selected locations – at the former Cross Knights' Monastery Haus Hohenbusch, for example, or overlooking the romantic pond, the castle, and the mills in Tüschenbroich. Berresheim: "It was a great joy for me to redefine the concept of home with digitality."
„How do we get to the point where the digital is no longer seen as cold and false, but as an integral part of our perceptual world? This question occupies my mind.“
Tim Berresheim
The computer makes it possible. While down at the Aachen headquarters, the blinking wonder tower with 250 processing cores is working to enrich our perception with such sophisticated projections, one floor up is the artist's desk. When he sits here, a stuffed crocodile rests at his feet. And next to it, on the wall, shelves are lined with thousands of real LPs – the artist also enjoys and creates music.
The windows up here in the office are covered, the light is a bit dim. Just the way he likes it: "I simply enjoy my peace." The constant innovations in the digital realm are exciting enough for him: Every day new tools, every day new possibilities to edit the image differently. "For me, it's the ultimate adventure to navigate through that – I don't need the outside world then."
He has a knack for continuously learning. As a self-taught person and enthusiast, Berresheim describes himself as driven by play and motivated by fun. His art thrives on this – from the very beginning. With the intention of becoming a filmmaker, he began his art studies in Braunschweig in 1999, but quickly changed direction there. The still image now seemed more interesting to him. And because the link to the digital intrigued Berresheim, he later moved to Düsseldorf. To the class of Albert Oehlen, who was already using the computer for his art back then.
"Are you going to Düsseldorf to learn how to make pictures with the computer," he thought back then. But it wasn't quite that simple. Even back then, he had to acquire most of it as a self-taught person. Today, Berresheim is 46 and still on the lookout for technological news that can advance his work.
For example, when he wallpapers lobbies or entire staircases with digital adventures. Most recently in a corporate district in Düsseldorf. Many discussions with the employees preceded this: What is important to them, how do they experience their daily work, what makes it interesting? This participatory process lasted a year. And in the end, probably everyone who works in the building could find themselves in some way in Berresheim's large-scale wall work.
Such digital works do not aim to break with everything old. Here, Berresheim uses the computer more as a kind of melting pot, where traditional media – painting, photography – can be transformed into something new. A bridge between the analog and the digital is repeatedly built by the hand-crafted surface of the virtual beings, designed almost as one-of-a-kind. With meticulous attention to detail, the "skin" of the often human-like creations is created by a This more or less human and traditionally artistic addition may contribute to taking some of the cool computer image away from the picture. And that is precisely Berresheim's goal: He wants the often still considered cool and false digital to become an integral part of our perception. Walt Disney comes to his mind. In the 1920s, he already asked himself how people could be emotionally touched by his new cartoon characters. Can a Bambi make us cry?
Can a “Corona buddy” sweeten the lockdown for us? This could be today's question. It would be worth a try, Berresheim might have thought, and in the lonely months designed a whole series of such buddies that can be welcomed into the apartment without a test and mouth-nose covering. There, the virtual beings stand tipsy in the hallway, raven in the kitchen, crouch in the children's room. Or they awaken our fitness ambition in the living room with their impeccable push-ups. The buddies come completely without a color smell. And when they leave again, there are definitely no stains left on the parquet.
Image: Tim Berresheim, photo: Markus J. Feger, Courtesy: the artist and KulturKenner.
Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff
Paulinenstr. 47
D – 70178 Stuttgart
Opening Hours:
Tuesday – Friday: 1 – 6 p.m.
and by appointment