„Champagner und Whisky raus, Kunst rein“ mit Anne-Lise Coste und Joan Jonas

13.04.2024 - 18.08.2024

15. April 2024 von Andres Herzog

Neue Züricher Zeitung

Leuchtende Unterwäsche empfängt die Besucher im Foyer: Das neue Gebäude vom Kunsthaus Baselland ist so abstrakt wie die Kunstwerke darin.
Die erste Ausstellung im neuen Standort auf dem Dreispitzareal in Münchenstein holt viel heraus aus der umgebauten Halle, wo einst Champagner lagerte.

Auf dem Dreispitzareal in Münchenstein ragen drei Betontürme zeichenhaft in den Himmel. Was entfernt an Infrastrukturbauten erinnert, gehört zum neuen Standort des Kunsthauses Baselland. Die Architektur wird zur Signaletik und lockt die Menschen von der Tramhaltestelle beim Freilagerplatz in die Häuserzeile dahinter. Die dreieckigen Türme markieren die neue Nutzung. Die alte Halle, aus der sie emporwachsen, erzählt von der Vergangenheit vor rund hundert Jahren. Hier lagerten einst Champagner und auch Whisky, der in Fässern angeliefert wurde mit der Bahn, deren Geleise noch im Boden verlaufen.

Buchner Bründler Architekten wählten einen radikalen Ansatz, als sie vor zehn Jahren den Architekturwettbewerb gewannen. Damals war das Wort «Ersatzneubau» in aller Munde. Heute entspricht die Idee des Erhaltens und Weiterbauens ganz dem Zeitgeist, der von der Diskussion um Klimaschutz, Denkmalpflege und Substanzerhalt geprägt ist.

Die Architekten griffen nur wo nötig in den Bestand ein. Die Tore für die Anlieferung ersetzten sie durch grosse Fenster. Das Stahltragwerk wurde punktuell verstärkt, die Fassaden nachgedämmt, das Welleternit auf dem Dach danach wieder verbaut. Die alten Holzbalken waren allerdings zu schwach für die neuen Lasten. Also haben die Architekten daraus kurzerhand ein Büchergestell für die Bibliothek des Kunsthauses gezimmert.

Ein Meilenstein für Baselland
Die 28 Meter hohen Türme funktionieren als architektonische Skulpturen, ihre Grösse und Form nimmt Bezug auf die Dachform der Halle. Die Lasten des neuen Zwischengeschosses werden über die Betonkerne abgeleitet, weshalb der Altbau unberührt bleibt. Die Türme wirken als Lichtfänger, die das Tageslicht in die Ausstellungsräume leiten. Und sie gliedern den Grundriss des Hauses, in dem sich unterschiedliche Räume abwechseln. Mal wirken sie industriell direkt, mal dank den Oberlichtern fast sakral. Diese Vielfalt eröffnet der Kunst viele Optionen.

Die Architektur ist auf ein Minimum abstrahiert, die übergrossen Proportionen verändern den Massstab des Hauses. Die Türgriffe bei den Eingängen sind gross wie Bretter. Die weissen Gipswände, die vor den Betonmauern stehen, haben wuchtige Dimensionen und wirken, als wären sie gemauert. Die Details und die Materialien sind reduziert. Buchner Bründler bauen ein Haus so abstrakt wie manche der Kunstwerke darin.

Das neue alte Gebäude ist ein Meilenstein für das Kunsthaus Baselland, das als Verein mit rund zehn Mitarbeitern und vielen Freischaffenden organisiert ist. «Alle in unserem Team haben alles gegeben, um das Haus möglich zu machen», sagt die Direktorin Ines Goldbach. Die Christoph-Merian-Stiftung hat das Land im Baurecht abgegeben. Der Kanton Baselland, Stiftungen und Private haben das Haus finanziert, viele Unternehmen haben Beiträge geleistet.

Der neue Ort bietet nicht wesentlich mehr Platz als der alte Gewerbebau neben dem Fussballstadion St. Jakob in Muttenz, wo das Kunsthaus seit 1997 zu Hause war. Doch das Dreispitzareal erlaubt eine ideale Vernetzung mit anderen Kunstinstitutionen: das Haus der elektronischen Künste, das Atelier Mondial, das Kabinett von Herzog & de Meuron, die Hochschule für Gestaltung und Kunst. Wird der Campus der Universität Basel nach Plänen von Grafton Architects bis 2030 realisiert, wird das Kunsthaus zum Scharnier zwischen Kunstcampus und Uni-Quartier.

Diese Ausgangslage passt zu einem zeitgenössischen Kunsthaus, das nicht nur ausstellt. «Wir wollen nicht bloss Kunst zeigen, sondern Menschen zusammenbringen», sagt Ines Goldbach. Am stärksten zum Ausdruck bringt diese Haltung das Foyer mit Café, das von zwei Seiten her frei zugänglich ist. Der niederschwellige Durchgangsraum wird auch die weniger kunstaffinen Menschen auf dem Areal neugierig machen.

Für das Haus entworfene Kunstwerke
Im Foyer begrüsst ein Kandelaber aus Unterwäsche von Pipilotti Rist die Besucher – eine Installation der Schweizer Künstlerin aus dem Jahr 2010. Für die Eröffnung hat die Direktorin zwei Dutzend Kunstschaffende, vorwiegend Künstlerinnen, aus dem In- und Ausland eingeladen, das Haus zu bespielen – viel von ihnen mit eigens dafür kreierten Arbeiten.

Einige Künstlerinnen arbeiten aus einer feministischen Perspektive. Die Amerikanerin Andrea Bowers hat ihre politischen Bänder aufgehängt, die in bunten Farben den Sexismus in der Gesellschaft anprangern. Anne-Lise Coste malt für ihr Werk zum Pronomen «elle» direkt auf die weissen Gipswände und zeigt damit, wie das Haus in Beschlag genommen werden kann. Auch das Thema der Wiederverwendung greift die Französin auf: Sie nutzt Türen des alten Kunsthauses in Muttenz für ihre Installation um.
Diejenigen Arbeiten, die direkt mit der Architektur interagieren, schöpfen am meisten Potenzial aus den Räumen. Marine Pagès hat eine übergrosse Wandbemalung entworfen, die je nach Tageslicht anders leuchtet. Daniela Keiser bespielt Wand und Boden in einem raumgreifenden Gemälde, das vom Zwischengeschoss aus betrachtet andere Perspektiven eröffnet. Die Grenzen zwischen Architektur und Kunst gänzlich aufgelöst hat Renate Buser, die für ihre disziplinenübergreifenden Installationen bekannt ist. Auf dem Schiebetor im Foyer hat sie Fotografien des Kunsthauses aufgezogen, die zwischen Raum und Fläche, Realität und Abbild changieren. Baukultur und Kunst greifen ineinander.

Die erste Schau zeigt unter dem Titel «Rewilding» fulminant, was das Haus kann. Das Aktivieren und In-Beschlag-Nehmen der Architektur ist im Sinn der Direktorin. «Ein Kunsthaus muss ein Instrument sein, um die Architektur mit Kunst fortzuschreiben und Neues möglich zu machen.» Das Haus ist kein Museum, es ist ein Ort der Produktion. In den alten Betonboden können die Künstlerinnen und Künstler ohne Berührungsängste hineinbohren – die Bodenheizung ist in der Zwischendecke untergebracht. Im Untergeschoss gibt es eine Werkstatt, in der die Kunstschaffenden an ihren Installationen bauen. «Kunst muss entstehen dürfen», sagt Goldbach.

Der Pragmatismus gilt auch für die Architektur. Eine kontrollierte Lüftung gibt es nicht, man lüftet mit einfachen Metallklappen in den alten Mauern. Schiebetore vor den Fenstern verdunkeln die Räume, um Videoarbeiten zu zeigen – etwa aus der grossen Sammlung des Kantons Baselland. Selbst die Lichttürme könnte man verdunkeln mit Abdeckungen, die man von Hand auf die Oberlichter legt – ganz ohne teure Technik.



Image: Neues Kunsthaus Baselland auf dem Dreispitz, Buchner Bründler Architekten. Foto: Finn Curry; Daniela Keiser, Ader, 2024.

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