Artikel: „Zwischen Pixel und Pigment“ with Tim Berresheim

07.07.2024 - 10.11.2024

Text: Carsten Probst

Marta Herford und Kunsthalle Bielefeld

„Ich interessiere mich für Malerei als erweitertes Feld. Damit meine ich, dass ich die Destabilisierung und Aus,veitung der Definition von Malerei anstrebe." Was die Malerin Kerstin Brätsch vor einiger Zeit als Selbstbeschreibung formulierte, würde sich gut als Motto der großen Doppelausstellung zur „Hybriden Malerei in postdigitalen Zeiten" eignen, die seit 7. Juli gleichzeitig in der Kunsthalle Bielefeld und im Marta Herford zu sehen ist. Auch Brätsch ist mit einigen Arbeiten in dieser Ausstellung vertreten, die das Digitale weniger als Konkurrenz oder Bedrohung für die Malerei, denn als ihre Erweiterung um neue Formen künstlerischer Praxis versteht. Allerdings ist diese erweiterte Praxis geeignet, den landläufigen Blick auf die Malerei als „natürlichen" Ausdruck künstlerischer Subjektivität umzudrehen und einen Blick von außen auf diese Konstellation zu simulieren. So betrachtet Seth Price, von dem ebenfalls Arbeiten in der Ausstellung zu sehen sind, Kunst grundsätzlich nicht mehr als genuin hu­mane Zivilisationstechnik, sondern als den nicht humanen Anteil am Menschsein, der eine außersubjektive Perspektive ermöglicht. Tim Berresheim machten seinen kulturhistorisch angelegten digitalen Reproduktionen und Collagen Malerei als einen historischen Wissensspeicher lesbar und versteht die digitalen Oberflächen als technologisch zeitgemäße Vari­anten viel älterer humaner Kultur- und Wissenstechniken.

Dagegen sind Corinne Wasmuhts oft im Breitwandformat gehaltene Bilder, die zu Beginn der 2oooer-Jahre zeitweilig als ein Inbegriff „digitaler" Malerei galten, noch ganz in der Tradition wohlkalkulierten malerischen Handwerks ausgeführt. In ihren Panoramen scheinen sich digitale und „natürliche" Realität unauflöslich zu durchdringen. Die Perspektiven wirken verzerrt, die Räume ebenso imaginär wie real, mikroskopisch und gigantisch zugleich. Eine gegenteilige Strategie verfolgte Wade Guyton seit den frühen 2000er-Jahren, indem er seine mit Photoshop bearbeiteten X-Zeichen als groß­formatige Inkjet-Prints auf verschiedene Trägermaterialien wie Reklameseiten. Linoleum, Sperrholz oder Leinwand aus­drucken ließ. Die mandalaartigen Strukturbilder von Kerstin Brätsch multiplizieren diese Vorgehensweise durch eine kaum mehr zu entwirrende Verschränkung von Zeichen- und Bedeutungsebenen, Material- und Bildzitaten.

Die genannten Beispiele verweisen in der Ausstellung auf die These, viele als „Hybrid“ gelabelte und manchmal mit dem neuen Zauberwort „KI“ versehene Malereistrategien würden in erneuerter Form an Arbeitsweisen der „Appropriation Art“ seit den 1970er-Jahren anknüpfen: Sie bedienen sich - ob mit oder ohne Zuhilfenahme einer KI - bereits existierender Bilder aus dem digitalen Raum, eines mehr oder weniger überbordenden Zitateschatzes, den sie in Ausschnitten oder digitalen Samplings verarbeiten, und dadurch vor allem potenziell unendlcihen Kopiervorgangs als Kulturtechnik offenlegen.

So erscheint auch Andy Warhol als historische Referenz für den ständig kopierenden und unendlich kopierten Künstler noch einmal in der Ausstellung, dessen künstlerische Handschrift in einem höchst individuellen Style ihrer Auslöschung besteht - sei es als Kritik oder Affirmation der medialen Bilderwelt. Diese und andere kunsthistorische Verankerun­gen des Digitalen soll ein begleitendes internationales Symposium an der Kunstakademie Münster klären helfen.


Künstler*innen: Sónia Almeida, Tim Berresheim, Kerstin Brätsch, Salomé Chatriot, Vivian Greven, Wade Guyton, Tishan Hsu, Jacqueline Humphries, Charlotte Johannesson, KAYA, Peter Kogler, Vera Molnar, Mukenge/Schellhammer,
Albert Oehlen, Laura Owens, Seth Price, Rafaël Rozendaal, Pieter Schoolwerth, Amy Sillman, Avery Singer, Cheyney Thompson, Philipp Timischl, Andy Warhol, Corinne Wasmuht, Anicka Yi.



Image:
Tim Berresheim: „Zitrisch das Auge volllaufen lassen“, 2024, C-Print, W{FS|CCC|RRR|+}, 180 x 290 cm, Courtesy: the artist.

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