"You have to walk!"
Gordon Matta-Clark
Die Arbeiten von Franka Hörnschemeyer befinden sich in einem schwer zu bestimmenden Bereich zwischen Skulptur und Architektur, sie besitzen Aspekte beider Medien. So könnte man sie als begehbare Skulpturen ebenso wie skulptural errichtete Architektur bezeichnen. In der Tat wären beide Begriffe nicht exakt genug, um den Kern der künstlerischen Intention zu beschreiben. Vielmehr nähert sieh FH durch ihre Arbeitsweise den Begriffen Raum und Volumen von einer dialektischen Position an: Der umgebende Raum dient als Matrix für das Werk, das wiederum die Eigenschaften dieses Raumes gleichzeitig reflektiert und verändert. Jede ihrer Arbeiten korrespondiert auf eine umfassende Weise mit dem umliegenden Raum und steht in Abhängigkeit von ihm. Dabei geht es nicht um Raum als Ort einer architektonischen Bestimmung, sondern um das Volumen, den Rauminhalt. Das heißt, FH interessiert sich weniger für die Begrenzungen eines Raums als für den Raum "dazwischen" - eine Dimension, die den bloßen Bereich der Trigonometrie transzendiert und als Medium für die Raumwahrnehmung benutzt. Die Errichtung von Wänden tritt hinter den primären Zweck des Sichtbar- und Erlebbarmachens von bereits vorhandenen Raumeigenschaften zurück. Die innere Struktur, das Wesen eines Raumes wird nach außen gekehrt, FHs Eingriffe beabsichtigen die Rückführung der Architektur auf die grundlegenden Eigenschaften von Raum.
FH arbeitet mit Rohbaumaterialien wie Gipskartonplatten, Messebauwänden oder Verschalungen, die oft schon Spuren einer vorherigen Benutzung zeigen. Die Verwendung von gebrauchten, auf Funktionalität ausgerichteten Materialien verdeutlicht, daß es hier nicht um die Darstellung einer oberflächlichen Ästhetik geht, sondern um die systematische Hervorbringung elementarer Raumeigenschaften. Der Aspekt der Zeit spielt hier eine zusätzliche Rolle: Im Gegensatz zu der Architektur des vorgefundenen Raums, der eine räumlich festgelegte Geschichtlichkeit besitzt, weisen die von FH errichteten temporären Arbeiten eine dem Stationären entgegengesetzte zeitliche Struktur auf, die sich an dem Material ablese läßt.
Die von FH hinzugefügten Elemente treten in einen komplexen Dialog mit dem bereits vorhandenen Raum. Einerseits spiegeln sich in FHs Eingriffen seine Eigenschaften wider:
Enge/Weite, Helligkeit/Dunkelheit, Offen-/Geschlossenheit, klare/labyrinthische Strukturen, je nach Beschaffenheit der vorgefundenen Örtlichkeit werden die Raumeindrücke durch die Komprimierung auf einen "Raum im Raum" und seine systematische Anordnung intensiviert. Andererseits handelt es sich bei jedem Eingriff auch um eine architektonische Veränderung, also um eine Negation oder Umwandlung der Eigenschaften des umliegenden Raums: Durch das Aufstellen von Wänden werden zusätzliche (Sicht-)Barrieren errichtet, vorhandene Durchgänge unbenutzbar gemacht und neue Durchlässe oder Durchblicke geschaffen. Auf die semiotische Struktur des Materials hat bereits Francis Amann hingewiesen: "Aus dem Umgang mit den Baumaterialien kristallisiert sich der Raum als das ideelle Material der Künstlerin heraus."
("Umraum", Köln 1989-93).
Die aktuelle Arbeit zeigt diese dialogisierenden Aspekte in aller Deutlichkeit: Durch die Türöffnungen dreier Räume hindurch werden Rasterschalungen zu einem begehbaren Rechteck miteinander verbunden, so daß ein "neuer" Raum entsteht. Zwei Türen erlauben sein Betreten und Hindurchschreiten. Die Durchgänge der ursprünglichen Galeriearchitektur werden somit verändert und verstellt. Einer der drei Räume, in dem sich eine permanente mehrfarbige Wandmalerei von Günther Förg befindet, kann zwar eingesehen, aber nur noch in einer der Ecken betreten werden. Dabei wiederholen sich in dem von FH "neu geschaffenen" Raum die Relationen des farbigen Raums. Als sei er auf seiner Diagonalachse verschoben worden, durchdringt er nun die ihn umgebende Architektur und wird gleichzeitig von ihr durchdrungen. Die Schnittstellen der Durchdringungen markieren die Eckpunkte des neu entstandenen dynamischen, temporären Volumens. Materiell existent, erweist er sich doch als ein "unmöglicher Raum", der architektonischen Funktion enthoben durch eine Verschiebung auf dem vorgegebenen stationären Koordinatensystem der Galerie. Durch die Verschränkung der zwei parallel zueinander verlaufenden Raumsysteme offenbart die stationäre Architektur nun "unentdeckte" oder "versteckte" Eigenschaften. Die Akustik verändert sich ebenso wie die Licht- und Schattenverhältnisse, das gewohnte und unbewußt funktionierende Umschiffen und Durchschreiten der bisherigen architektonischen Barrieren entfällt, bzw. muß neu erlernt werden. Es wird deutlich, daß die sonst so selbstverständliche Bewegung im Raum das elementare Medium seiner Wahrnehmung ist: "You have to walk!" - erst dann erschließt sich die Dynamik des Volumens.
Thomas Donga
Exhibition View: Franka Hörnschemeyer, VSE. 596, Galerie Reinhard Hauff, 1996
Exhibition View: Franka Hörnschemeyer, VSE. 596, Galerie Reinhard Hauff, 1996
Exhibition View: Franka Hörnschemeyer, VSE. 596, Galerie Reinhard Hauff, 1996
Exhibition View: Franka Hörnschemeyer, VSE. 596, Galerie Reinhard Hauff, 1996
Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff
Paulinenstr. 47
D – 70178 Stuttgart
Opening Hours:
Tuesday – Friday: 1 – 6 p.m.
and by appointment
Winter Break:
The gallery is closed from 21.12.2024 until 07.01.2025