Mit The Evil Eye gewann der junge französische Filmemacher Clément Cogitore 2018 den begehrten Marcel-Duchamp-Preis im Centre Georges Pompidou – nur einer von vielen internationalen Preisen, die dem Künstler bereits verliehen wurden –, darunter auch die Nominierung für den César für den besten Erstlingsfilm sowie mehrere Nominierungen bei den Filmfestspielen von Cannes 2015. Die Galerie Reinhard Hauff ist stolz darauf, The Evil Eye zum ersten Mal in Deutschland präsentieren zu dürfen und so dem Stuttgarter Publikum die außergewöhnliche Gelegenheit zu bieten, diesen technisch ambitionierten und hochqualitativen Film vorzuführen.
The Evil Eye ist ein High-Tech-Psychothriller mit erotisch-komatöser Klarheit („eroto-comatose lucidity“), der die Zukunft der Menschheit in Frage stellt. Die Glaubenssysteme der Menschheit nehmen das Weibliche – Körper und Geist – als Hauptquelle des Bösen und die Verführung als seine sanfte Kraft. Der Film von Clément Cogitore – ausschließlich von weiblichen Körpern und Stimmen getragen – verwendet Mehrzweckvideos, die der Künstler aus Gettys oder Shutterstocks gigantischen Bilddatenbank-Katalogen mit Stereotypen wie „Lonely Woman“ („Einsame Frau“) oder „Beauty Girl“ („Schönes Mädchen“) gekauft hat. Diese Bilder werden verwendet, um ein Produkt, eine Ideologie, einen Traum, eine Identität, eine Identifikation, eine Hoffnung, ein Ideal zu verkaufen. Keine persönliche Geschichte. Werbung ist eine leistungsstarke Sprache, die mit einer glänzenden, mit Fotos gestalteten weiblichen Ästhetik geladen ist, da sie sich besser verkauft. In der Regel handelt es sich jedoch um eine Einwegsprache von „Buy This“ („Kauf das“), und diese Sprache wird nicht verwendet, um über andere Themen zu sprechen. Cogitore findet jedoch einen Weg, unzusammenhängende stereotype Bilder von Zeitlupengesten, leblosen, künstlichen Schönheiten durch seine eigene fiktive Erzählung, die Fragmente aus der Apokalypse vom Heiligen Johannes, Dantes Inferno und anderen bedrohlichen Prophezeiungen oder Warnungen enthält, miteinander zu verketten. Diese bedrohlichen Prophezeiungen werden im Film von Stimmen – Stimmen von der anderen Seite, aus dem Weltraum, aus dem Jenseits – gesungen und vorgelesen. Mit dieser Erzählung entführt er uns an einen Ort unerwarteter Emotionen – an einen Ort strahlender alternativer Tatsachen. Der Betrachter wird in diese apokalyptische Erzählung hineingezogen, die sich mit einer Menschheit befasst, die am Rande einer (bösen?) Wirklichkeit nach der Wahrheit steht.
Die Identifikationsnummern jedes gekauften Bildes bleiben im Film enthalten und verleihen dem Ganzen somit „eine eher totalitäre Dimension“, wie Cogitore sagt. Das Böse liegt vielleicht auch im Bereich des Totalitären. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken.
Marketingdatenbanken werden von weiblichen Bildern dominiert. Schönheit verkauft sich besser. Cogitore und die kommerziellen Hersteller solcher Bilder verwenden High-Tech-Methoden, um die Unpersönlichkeit und Entfremdung der Postproduktionsperfektion weiter zu übertreiben. Das schafft die gruselige, totalitäre Anonymität, die flach und eindimensional ist. Indem Cogitore den Postproduktionsprozess von perfekter, ikonischer, statischer, seelenloser Anonymität und Allgemeinheit umkehrt, versucht er, den Betrachter zurück zu den Spuren des Individuums, der Identität versus der Anonymität, zum lebenden Körper zu führen, der sich zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich physisch vor der Kamera eines Fotografen befand. „Zwischen Entfremdung und Überschreitung liegt eine Spannung, die mich interessiert“, sagt Cogitore, und der Film ist ein sehr mächtiges Medium, um sie einzufangen.
Die Fotoserie The Evil Eye (stills), die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird, ist eine Sammlung von Cogitore-Stills, die aus dem Video ausgewählt wurden. Weibliche Gesichter überlagern Korridore, die von endlosen Blöcken der riesigen Datenserver gesäumt sind, auf denen dieselben Gesichter in Form digitaler Daten gespeichert sind. Die Figur – der Gast – scheint somit als Geist den Ort ihres Gastgebers zu verändern.
Dieser Text basiert auf einem Interview mit Clément Cogitore, geführt von Dr. Ines Goldbach, Direktorin des Kunsthauses Baselland, anlässlich der dortigen Präsentation des Films im Juni 2019 (Text: Elisabeth Hauff, Übersetzung ins Deutsche: Cornelia Schuster).
Clément Cogitore (*1983, Colmar) lebt und arbeitet in Paris. Seine Werke wurden unter anderem im Palais de Tokyo, Paris, im Centre Georges Pompidou, Paris, im ICA, London, im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, im MACRO, Rom, in der Flax Foundation, Los Angeles, im MoMA, New York, im MNBA, Québec, im SeMA Bunker, Seoul, im Red Brick Art Museum, Peking und im Kunsthaus Baselland, Muttenz/Basel präsentiert. Seine filmischen Arbeiten wurden bei zahlreichen internationalen Filmfestivals gezeigt und ausgezeichnet: in Cannes, in Locarno, in Telluride, in Los Angeles und in San Sebastian. 2015 wurde sein erster Spielfilm Ni le ciel Ni la terre beim Festival de Cannes im Rahmen der Semaine de la Critique ausgewählt, von der Gan Foundation ausgezeichnet, von den Kritikern anerkannt und für das beste filmische Erstwerk mit dem César Award nominiert. Der Film wurde 2016 in der Galerie Reinhard Hauff gezeigt. 2015 gewann er außerdem den BAL-Preis für zeitgenössische Kunst, 2016 den SciencesPo-Preis für zeitgenössische Kunst sowie den 18. Fondation d'Entreprise Ricard-Preis für zeitgenössische Kunst und 2017 den Preis für Künstler unter 35 Jahren des Festivals Kino der Kunst in München. Anlässlich des 350-jährigen Bestehens hat die Opéra National de Paris Cogitore mit der Inszenierung des gesamten Opernballetts Les Indes galantes von Jean-Baptiste Rameau beauftragt. Der Künstler sollte das Stück genauso wie seinem Film Les Indes galantes, den er 2017 produzierte und in der Galerie Reinhard Hauff uraufgeführt wurde, realisieren. Die Uraufführung des Opernballetts Les Indes galantes an der Opéra Bastille, Paris, fand im September 2019 statt. Mit The Evil Eye, 2018, gewann Cogitore den Marcel Duchamp Award im Centre Georges Pompidou, Nationalmuseum für Moderne Kunst, Paris. Cogitores Werke sind in mehreren öffentlichen Sammlungen vertreten, darunter im Centre Georges Pompidou, Paris, im Fonds national d’art contemporain, Paris, im Fonds municipal d’art contemporain de la Ville de Paris, im FRAC Alsace, Sélesta, im FRAC Aquitaine, Bordeaux, im FRAC Auvergne, Clermont-Ferrand, im MAC VAL Museum, Vitry-sur-Seine, im Musée d’Art moderne et contemporain de Strasbourg und in Privatsammlungen wie der Daimler Art Collection.
Zur Ausstellungseröffnung laden wir Sie herzlich am Freitag, den 22. November 2019, von 19 bis 22 Uhr zu Bier und Wein ein.
Mit freundlicher Unterstützung des Institut Français Stuttgart.
With The Evil Eye the young French filmmaker Clément Cogitore won the coveted Marcel Duchamp Prize at the Centre Georges Pompidou in 2018, – only one of many international prizes this artist has already been awarded –, including the nomination for the César for best first film, and several nominations at Cannes Film Festival, 2015. The Galerie Reinhard Hauff is proud to present The Evil Eye for the first time in Germany and to offer a Stuttgart audience the exceptional opportunity to see this technically ambitious and outstandingly high quality film.
The Evil Eye is a high tech psycho thriller of eroto-comatose lucidity questioning the future of humanity. The belief systems of mankind take the female – body and spirit – as the principal source of Evil, and seduction as its soft power. Clément Cogitore’s film – carried exclusively by female bodies and voices – uses multipurpose videos bought by the artist from Getty’s or Shutterstock’s gigantic image bank catalogues of stereotypes like "Lonely Woman" or "Beauty Girl". These images are used for selling a product, an ideology, dream, an identity, an identification, a hope, an ideal. Not a personal story. Advertising is a powerful language loaded with glossy, photo-shopped female aesthetics as that sells better. But it’s usually a one-way language of "Buy This", and that language is not used to talk about other issues. Cogitore, however, finds a way to chain unrelated stereotype images of slow motion gestures, lifeless, artificial beauties together through his own fictional narrative incorporating fragments from the Apocalypse of St. John, Dante’s Inferno and other ominous prophesies or warnings. These are sung and read in the film by voices from the other side, from deep space, from across time. With this narrative he takes us to a place of unexpected emotions – to a place of beaming alternative facts. The viewer is sucked into this apocalyptic narrative addressing a humanity on the brink of an (evil?) post-truth reality.
The identification numbers of each purchased image remain in the image and give "a rather totalitarian dimension to the whole", as Cogitore says. Evil is perhaps also in the realm of the totalitarian. Maybe we should think about that.
Marketing databases are dominated by female images. Beauty sells better. Cogitore and the commercial makers of such images use high tech methods to further exaggerate the impersonality and alienation of postproduction perfection. That achieves the scary, totalitarian anonymous which is all flat and one dimensional. By reversing the post production process from perfect, iconic, static, soul less anonymity and generality, Cogitore tries to take the viewer back to traces of the individual, identity versus anonymity, to the living body which at one point was actually physically there, in front of somebody’s camera. "Between alienation and transgression is a tension that interests me" says Cogitore, and film is a very powerful medium to capture it.
The series of photographs The Evil Eye (stills) also shown in the exhibition is a collection of stills Cogitore selected from the video – female faces superimposed on corridors lined with endless blocks of the huge data servers storing these same faces in the form of digital data. The figure – the guest – thus seem to haunt as a spirit the original resting place or confinement of its host.
This text is based on an interview with Clément Cogitore by Dr. Ines Goldbach, Director of the Kunsthaus Baselland, on the occasion of the presentation of the film there in June, 2019 (text: Elisabeth Hauff.)
Clément Cogitore (*1983, Colmar) lives and works in Paris. His work has notably been screened and exhibited at the Palais de Tokyo, Paris, the Centre GeorgesPompidou, Paris, the ICA, London, the Haus der Kulturen der Welt, Berlin, the MACRO, Rome, the Flax Foundation, Los Angeles, the MoMA, New York, the MNBA, Québec, the SeMA Bunker, Seoul, the Red Brick Art Museum, Beijing and the Kunsthaus Baselland, Muttenz/Basel. Hiscinematographic pieces have been selected and awarded prizes in numerous international film festivals: Cannes, Locarno, Telluride, Los Angeles and San Sebastian. In 2015, his first feature film Ni le ciel Ni la terre was selected at the Semaine de la Critique of the Festival de Cannes, awarded by the Gan Foundation, acclaimed by critics and nominated for the best first film at the César Award. The film was shown 2016 in the Galerie Reinhard Hauff. In 2015 he also won the BAL Prize for Contemporary Art, in 2016 the SciencesPo Prize for Contemporary Art as well as the 18th Fondation d’Entreprise Ricard Prize for Contemporary Art and in 2017 the Prize for artists under 35 years at the Kino der Kunst film festival in Munich. To celebrate its 350th anniversary, the Opéra National de Paris has entrusted Cogitore staging the entirety of Jean-Baptiste Rameau’s opera ballet Les Indes galantes, like his film Les Indes galantes he produced in 2017 and which was premiered at the Galerie Reinhard Hauff. The première of Les Indes galantes at the Opéra Bastille, Paris, was in September 2019. With The Evil Eye, 2018, Cogitore won the Marcel Duchamp Award at the Center Georges Pompidou, National Museum of Modern Art, Paris. Cogitore’s work is represented in several public collections, including the Centre Georges Pompidou, Paris, the Fonds national d'art contemporain, Paris, the Fonds municipal d'art contemporain de la Ville de Paris, the FRAC Alsace, Sélesta, the FRAC Aquitaine, Bordeaux, the FRAC Auvergne, Clermont-Ferrand, the MAC VAL Museum, Vitry-sur-Seine, the Musée d’Art moderne et contemporain de Strasbourg, and in private collections like the Daimler Art collection.
You are cordially invited to the exhibition opening with beer and wine on Friday, November 22nd, 2019 from 7 to 10 pm.
With kind support of the Institut Français Stuttgart.
Film still: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019
Film still: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019
Film still: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019
Film still: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019
Film still: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019
Film still: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019
Film still: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019
Film still: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019
Exhibition view: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. The Evil Eye, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff
Paulinenstr. 47
D – 70178 Stuttgart
Opening Hours:
Tuesday – Friday: 1 – 6 p.m.
and by appointment
Winter Break:
The gallery is closed from 21.12.2024 until 07.01.2025