SURGICAL STRIKES
„Die Art, wie wir Krieg führen, verrät eine Menge über unsere Gegenwart.“ Clément Cogitore konnte diese These seit Anfang 2015 bereits zwei Mal bestätigen. Zum einen mit seinem ersten Spielfilm Ni le ciel Ni la terre, der im vergangenen Herbst in den französischen Kinos anlief, nachdem er im Frühjahr 2015 von der „Cannes’ Critics’ Week“ ausgewählt worden war. In dem Film, der als Deutschlandpremiere ausschließlich in der Galerie Reinhard Hauff zu sehen ist, überschneidet sich eine westliche Vorstellung vom Krieg – wir begleiten eine französische Garnison an die afghanische Grenze – beinahe unbemerkt mit einem Glaubenssystem, das vom„Feind“ verfochten wird und das in den kartesianischsten Geistern von Filmfiguren und Zuschauern gleichermaßen für Unbehagen sorgt. In Ni le ciel Ni la terre bedient sich Clément Cogitore im Übermaß an Bildern von Überwachungs- und Wärmebildkameras sowie Nachtaufnahmen. Und auch hier, in der Ausstellung der Galerie Reinhard Hauff, führt diese Technik dazu, dass die gewählte Formensprache die politische Reichweite der Bilder untermauert.
Zum anderen in Digital Desert, einer Serie großformatiger Fotografien, die parallel in der Galerie gezeigt werden. So wie der Maler Jean Fautrier zu seiner Zeit gegen Ende des Zweiten Weltkrieges mit seinem Bilderzyklus Otages (Geiseln, 46 grässliche und formlose Masken inspiriert von Fotografien erschossener Geiseln) in ähnlicher Weise Bewunderung und Empörung hervorrief, zeigt auch Clément Cogitore dem Zuschauer eher eine „Repräsentation“ als ein bloßes Abbild des modernen Konflikts und seiner Kollateralopfer. Ein bisschen wie bei dem Betrachten von Fautriers Leinwänden aus der damaligen Zeit erinnern auch die vier in der Galerie ausgestellten fotografischen Diptychen an Luftbilder von Leichenbergen, wie sie sich in den vergangenen Jahren im Überfluss in unser kollektives Gedächtnis eingegraben haben. Doch nach und nach stellen sich Zweifel ein: Was auf den ersten Blick aussieht wie die Überreste von Toten, stellt sich auf den zweiten Blick als über den Boden verstreute Uniformen heraus. Aufgenommen in der marokkanischen Wüste, wirft die Fotoserie – seine erste ohne menschliche Figuren, wie Cogitore betont – das Schlaglicht auf eine neue Tarntechnik namens „digital desert“, die es nicht mehr nur ermöglicht, unbemerkt aus Schützengräben vor einem Feind zu fliehen, sondern auch dem unsichtbaren Auge der Drohnen zu entkommen. Wie verschwindet etwas? Das ist die große Frage im Werk von Clément Cogitore, dessen Film sich bereits mit dem mysteriösen Verschwinden von vier französischen Soldaten beschäftigt hatte. Ein Gesetz von 1992 verbietet die Verbreitung von Satellitenbildern mit einer höheren Auflösung als 50 cm je Pixel. Das Gesetz zielt darauf ab, Rechtsrisiken abzuwenden, die durch den Vorwurf des Eindringens in die Privatsphäre entstehen könnten. Auch wenn diese Auflösung das Entdecken „chirurgisch präziser“ Drohnenangriffe erschwert, lassen sich andererseits auch die Ziele, gegen die sich diese Operationen richten, nicht exakt lokalisieren, da sie jenseits der Schwelle der Darstellbarkeit liegen. Das ist eine der Erkenntnisse, zu denen der Philosoph Grégoire Chamayou in seinem jüngsten Buch mit dem Titel Eine Theorie der Drohne (La Théorie du drone)kommt, in dem er die Drohne als ein Instrument einseitiger Gewalt beschreibt.
Mit seinen Bildern zeigt der Künstler Clément Cogitore, was mit dem Übergang von der berühmten Dschungelkulisse aus braunen und khakifarbenen Militäruniformen des 20. Jahrhunderts zu dem verpixelten Motiv des 21. Jahrhunderts, das sogar eine Auswertung mithilfe ausgeklügelter Sensoren schwierig macht, auf dem Spiel steht. In diesem Kampf von David gegen Goliath fühlt man sich zwangsläufig an das „Razzle Dazzle“ erinnert, ein bei Kriegsschiffen beliebtes Täuschungsmanöver aus dem ersten Weltkrieg, das mit Hilfe eines optischen „wallpainting“ verhinderte, dass der Gegner die genaue Position und die zu torpedierende Route der Schiffe bestimmen konnte. Nach der Erfindung des Radars war die Technik zwar obsolet geworden, doch der Trick, der von einem Künstler und Reservisten der Royal Navy erfunden worden war, bezeugt doch den formalen Ideenreichtum, der im Kriegshandwerk immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Auch wenn die französische Armee einst Avantgardekünstler und besonders Kubisten vereinnahmte und ihr technisches Know-how mit Blick auf die Manipulation der Realität nutzte, so verdanken wir die „digitale Wüste“ von heute der US-amerikanischen Ingenieurskunst, die ironischerweise inzwischen dazu beiträgt, die „Soldaten des IS oder die russische Armee“ einzukleiden, wie Cogitore herausstellt. Was den Künstler daher interessiert, ist sowohl das Thema einer neuartigen Machtverteilung, die sich auf dem Gebiet der technischen Innovationskraft ergibt, wie auch die ästhetische Landschaft, die daraus entsteht. „Ich bin ein Hyper-Gläubiger“, witzelt Cogitore. Sein Markenzeichen ist die Überlagerung von dokumentarischen und halb erfundenen Erzählsträngen und die Kombination unterschiedlicher Handschriften – einer politischen und einer künstlerischen. „Ein Großteil meiner Arbeit beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie Erzählungen das Reale bewältigen und mit der absoluten Notwendigkeit dieses Vorgangs.“ (Claire Moulène. Kunstkritikerin für Les Inrockuptibles, Art Forum)
Nach seinem Studium an der École nationale Supérieure des Arts Décoratifs in Straßburg und am Fresnoy-Studio National des Arts Contemporains entwickelte Clément Cogitore eine Methode, die zwischen Kino und moderner Kunst zu verorten ist. Mit einer Mischung aus Film, Video, Installation und Fotografie befragt sein Werk, wie Menschen mit Bildern zusammenleben. In den meisten Fällen wirft das Fragen nach Ritualen, nach kollektiven Erinnerungen, nach der Darstellung des Heiligen und nach einer bestimmten Art der Durchlässigkeit unterschiedlicher Welten auf. Seine Filme wurden auf zahlreichen Festivals nominiert (Quinzaine des Realisateurs in Cannes, Festival von Locarno, Montreal Film Festival) sowie mehrfach ausgezeichnet. Seine Arbeiten wurden darüber hinaus bereits in zahlreichen Museen und Kunstzentren gezeigt (Palais de Tokyo und Centre Georges Pompidou in Paris, Haus der Kulturen der Welt in Berlin, The Museum of Fine Arts in Boston, Museum of Modern Art in New York). 2011 erhielt er den Grand Prix du Salon de Montrouge und war 2012 Resident Artist der Académie de France in der Villa Medici in Rom. Sein erster Spielfilm Ni le ciel Ni la terre gewann 2015 den Preis der Gan Foundation im Rahmen der Woche der Kritik auf dem Festival de Cannes und wurde von der internationalen Kritik gefeiert. Clément Cogitore wurde 1983 in Colmar geboren. Lebt und arbeitet in Paris und Straßburg.
SURGICAL STRIKES
"The art of war says many things about our contemporary world." says French artist Clément Cogitore (*1983). His first full-length feature film, Ni le ciel Ni la terre – selected by the 2015 Cannes’ Critics’ Week – is now showing for the first time in Germany at the Galerie Reinhard Hauff. In Ni le ciel Ni la terre, we are in the company of a French garrison at the Afghan border. Clément Cogitore makes abundant use of surveillance footage, thermal imaging and night vision. The language of art consolidates the political reach of the images. A progressive transition from a Western notion of war towards a system of beliefs carried by the "enemy" spells trouble for the most Cartesian minds of heroes and spectators.
The Digital Desert series of photographs in the exhibition bring to mind the group of works Otages (Hostages, 46 hideous and formless masks inspired by photographs of the dead) by the painter Jean Fautrier, created at the end of World War II. Otages evoked admiration, revulsion and scandal. Like Fautrier then, Clément Cogitore’s Digital Desert series now offers a representation rather than an image of modern conflict and its collateral victims. The three large scale photographs and the four photographic diptychs presented in the gallery, Digital Desert #1 through #8, 2015, first remind one of aerial images of charnel houses that have hounded our collective imagination in recent years. But doubt progressively insinuates itself: what first look like remains turn out to be military uniforms littering the ground. Filmed in the Moroccan desert, Clément Cogitore points out that the series is "the first without human figures" and brings to the stage a new camouflage technique called "digital desert" that allows one to escape not an entrenched enemy anymore but the invisible eye of drones. How to disappear is Clément Cogitore’s big theme. The film Ni le ciel Ni la terre also focuses on disappearance – the mysterious disappearance of four French soldiers. A 1992 law prohibits the distribution of satellite images that exceed 50 cm/pixel to prevent any risk of litigation concerning the invasion of privacy. Yet, as much as this resolution makes the "surgical strikes" of drones very difficult to detect, in turn it also means that their targets cannot be seen if they remain under the threshold of representability. Amongst other things, this is what philosopher Grégoire Chamayou decrypts in his latest book La Théorie du drone (Drone Theory) understood as an instrument of violence without reciprocity.
With his images, Clément Cogitore shows what is at play in the transition from the famous "jungle" weave of brown and khaki military uniforms of the 20th Century to this pixelated motif of the 21st Century that scrambles the most sophisticated receptors. In this David versus Goliath fight, one can’t help but be reminded of "Razzle Dazzle", the camouflage method very prized by First World War vessels. In other words, an optical wall painting that prevented the adversary from knowing the precise position and course of the ship to be torpedoed. Obsolete as a result of the advent of radar, this ruse inspired by an artist and Royal Navy reserve demonstrates the formal inventiveness that presides the art of war. But if the French army once called upon avant-garde artists and cubists in particular, requisitioned for their technical know-how regarding the deformation of reality, today it is to American engineering that we owe the "digital desert" that ironically, as Cogitore points out, ends up clothing "the soldiers of Daech or the Russian army". Therefore, what interests the artist here is both the subject, that of a rapport de force now in the arena of technical innovation, as much as the new aesthetic landscape it gives rise to.
"I’m a hyper believer" jokes Cogitore who has made it his hallmark to superimpose narratives, factual or rumoured, and combine the material and political. "A great part of my work focuses on this, on the way narrative resolves the real, on its absolute necessity." (Claire Moulène: Art critic for Les Inrockuptibles, ARTFORUM).
After studying at the École nationale Supérieure des Arts Décoratifs in Strasbourg, and at the Fresnoy – Studio national d’Arts Contemporains, Clément Cogitore developed a method half way between cinema and modern art. Mixing film, video, installation and photography, his work questions the modalities of cohabitation of man with images. It is most often a question of rituals, collective memory, representation of the sacred as well as a certain notion of permeability of worlds. His films have been nominated at numerous international festivals (Quinzaine des Realisateurs at Cannes, Festival del film Locarno, Montreal among others) and have won prizes on a number of occasions. His work has also been projected and exhibited in many museums and art centres (Palais de Tokyo, Centre Georges Pompidou in Paris, Haus der Kulturen der Welt in Berlin, The Museum of Fine Arts in Boston, MoMA, New York). In 2011 he received the Grand Prix du Salon de Montrouge and was resident artist of the Académie de France in Rome, Villa Medici in 2012. In 2015 his first full-length feature film Ni le ciel Ni la terre won the Gan Foundation Prize at the Festival de Cannes’ Critics’ Week and has been internationally acclaimed.
Clément Cogitore: Ni le ciel Ni la terre, 2015, film still.
Clément Cogitore: Ni le ciel Ni la terre, 2015, film still.
Clément Cogitore: Ni le ciel Ni la terre, 2015, film still.
Clément Cogitore: Ni le ciel Ni la terre, 2015, film still.
Exhibition view: Clément Cogitore. Ni le ciel Ni la terre, 2016, Foto: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. Ni le ciel Ni la terre, 2016, Foto: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. Ni le ciel Ni la terre, 2016, Foto: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. Ni le ciel Ni la terre, 2016, Foto: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. Ni le ciel Ni la terre, 2016, Foto: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. Ni le ciel Ni la terre, 2016, Foto: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Clément Cogitore. Ni le ciel Ni la terre, 2016, Foto: Bernhard Kahrmann.
Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff
Paulinenstr. 47
D – 70178 Stuttgart
Opening Hours:
Tuesday – Friday: 1 – 6 p.m.
and by appointment
Winter Break:
The gallery is closed from 21.12.2024 until 07.01.2025