Nach langen Lebensabschnitten in New York und Deutschland lebt Julika Rudelius wieder in Amsterdam, wo auch die Doppelkanal-Videoinstallation Knights (2019) gedreht wurde. Dort begann die Künstlerin auch an den begleitenden Zeichnungen zu arbeiten, die ebenfalls in Hail Mary Pass – ihrer fünften Einzelausstellung in der Galerie Reinhard Hauff – zu sehen sind. Die Videoinstallation zeigt – ebenso wie die Zeichnungen – Aspekte ritueller Überlebenskämpfe, gepaart mit Einfluss und Macht, die für Tiere sowie auch für den Menschen üblich sind. Die Rolle der Initiationsriten, bei denen Männer durch bestimmte Bräuche in den Kreis einer Gruppe aufgenommen werden, in der der Wettbewerb um die Gunst von Frauen vorherrscht, um sich fortzupflanzen zu können, sodass das Überleben des Stärksten, Dominantesten und Aggressivsten gesichert ist, hat sich im Laufe der Zeit beim Menschen aus dem körperlich brutalen Handeln zu Geldmacht und der Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen, weiterentwickelt.
Eine Gruppe junger Männer, gepflegt mit trendigen Frisuren, modischen Bärten, schwarzen Bomberjacken und grauen Kapuzenpullis, fahren schwarze Roller mit Windschutzscheiben. Ihre Bewegungen und Gesichtsausdrücke wirken kühl und ausdruckslos in Szene gesetzt. In monochrom gehaltenen Schwarz- und Grautönen ist die Umgebung des Motorrollertreffens ein Niemandsland aus leeren Stadtarchitekturen mit geometrischen Beton- sowie Ziegelmustern und Uferstraßen – weder privat noch öffentlich. Es gibt keine sichtbare Interaktion mit dem Anderen, der Welt. Die jungen Männer bewegen sich im Gleichklang – auf Tour – scheinbar ohne einen Plan oder eine Strategie, wie Soldaten auf Patrouille, mehr oder weniger eins mit ihren Scootern sowie der Kontrolle über ihre Maschinen. Formationen konvergieren, ziehen sich zurück und gruppieren sich zum Klang knatternder Motoren. Aber die aggressive Parade verwandelt sich in regelmäßigen Abständen auch in weiche, synchronisierte Tanzbewegungen – wie bei einer Ballettaufführung. Dazwischen pausieren sie, sind mit ihren Handys und anderen Geräten beschäftigt und posieren mit ihren AirPods und Designertaschen. Sie führen akrobatische Tricks mit ihren Motorrollern auf, mit etwas mehr Gewindigkeit und lauten Motorgeräuschen, aber es existiert kein Dialog, kein zentraler Anführer des Rudels, keine Verschwörung, keine Interaktion – eine Gruppe von Jungs, die ganz allein ihr eigenes Ding macht. Die einzige Frau ist die Künstlerin hinter der Kamera, die diese männliche „Parade“ beobachtet.
Die „Parade“ und die Präsentation ihrer Verführungskünste, in Form von inszenierten Aktivitäten wie Lockrufen und Balztänzen – ähnlich wie wir es hier in der Videoinstallation erleben –, sind in der Tierwelt unter den Männchen erforderlich, um die Gunst des Weibchens während der Paarungszeit zu gewinnen. Während seiner „Parade“ versucht der Mann, das ideale oder typische männliche Verhalten zu projizieren sowie den Eindruck zu erwecken, dass er der ist, der er sagt. Lacan bemerkte in einem seiner berühmten Séminaires, dass der Mann nicht der Spannung zwischen dem, was er glaubt zu sein (ein Mann, ein echter Mann, ein Macho) und andere – die Frau oder das soziale Umfeld – von ihm halten und erwarten könnten, sowie dem, was er (fürchtet) in Wirklichkeit ist (zu sein) – schwach, unsicher, ausgesetzt –, standhalten noch entkommen kann. Sein Ego braucht Macht – eine übergeordnete Macht –, die er aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und einer Gemeinschaft sowie seinem Status in diesen bezieht. Welche Rolle spielen diese jungen Erwachsenen in der Gesellschaft im Allgemeinen und in ihrer Gruppe? Wenn keine Erzählung oder ein Dialog vorhanden ist, können wir nur diese Parade beobachten. Aus sicherer Distanz (mit dem Blick einer Frau, einer Deutschen in Amsterdam) werden wir zu Beobachtern einer kodierten Sprache mit speziellen Elementen, die innerhalb dieser Gruppe erforderlich sind, um genug Macht zu besitzen, um hier und jetzt ein Überlebender – ein Mann – zu sein.
Um eine Parallele zwischen den Naturgesetzen des Tierreichs und den Gesetzen des zivilisierten Mannes zu ziehen, erweitert Rudelius die Videoinstallation in der Ausstellung mit einer Gruppe von Zeichnungen. Begleitet von einer suggestiven Stimme, wirken diese Zeichnungen wie dünn umrissene, kaum auftauchende Manifestationen des Unbewussten, des Primitiven, des Verbotenen und des Unzensierten – die Legitimation vielleicht. Löwen in einem Rudel kämpfen aggressiv um sexuelle Dominanz. Paarenden Löwen steht ein menschliches Tabu gegenüber – das der Dominanz für Freizeit- und für verbotenen Sex: Rudelius zeichnet den Priester als eine überlegene geistige und moralische Macht, der seinen Status ausnutzt, indem er sich als gut und vertrauenswürdig verkauft, während er die jungen, ihm schutzlos ausgelieferten Knaben, die ihm anvertraut wurden, unterdrückt sowie sadistisch missbraucht. Dass diese verabscheuungswürdigen Praktiken seit Jahrhunderten von Geistlichen vollzogen werden und andauern, zeugt von der Kraft einer perfekten „Maskerade“.
Die anderen Galerieräume bieten einen faszinierenden Überblick auf die folgenden Videos, die Rudelius über 20 Jahre hinweg entwickelt hat: Rites of Passage, 2008, Forever, 2006, Dressage, 2009, Liaison, 2013, Adrift, 2007, Train, 2001. Zusammen gesehen, erforschen die genannten Videoarbeiten das Thema von Verführung und Macht.
Rudelius’ Arbeiten wurden in bedeutenden musealen Kontexten gezeigt – wie zum Beispiel der Tate Modern, London, dem Centre Culturel Suisse, Paris, dem Kunsthaus Glarus, Schweiz, dem Stedelijk Museum Bureau, Amsterdam und dem Frans Hals Museum in Haarlem sowie kürzlich im Club Solo, Breda, Niederlande (Text: Elisabeth Hauff, Übersetzung ins Deutsche: Cornelia Schuster).
Zur Ausstellungseröffnung laden wir Sie herzlich am Freitag, den 05. April 2019, von 19 bis 22 Uhr zu Bier und Wein ein.
After long stretches of time in New York and Germany, Julika Rudelius is back in Amsterdam, where the double channel video Knights (2019) was shot and she started work on the accompanying drawings exhibited in Hail Mary Pass – her 5th solo show at the Galerie Reinhard Hauff. The film – as well as the drawings – is a display of the ritualistic struggle for survival, influence and power common to animals, on the one hand, and humans on the other. The role of rites of passage initiating males into a group where competition for procreational favour from females, and thereby survival, is won by the strongest, most dominant and aggressive (the fittest), has in humans over time evolved from acting out of physical, brute strength, towards money-power and the capacity to adapt to change.
A group of young men, well-groomed with trendy hairdos, fashionable beards, dressed in black bomber jackets and grey hoodies, are driving black scooters with windshield screens. Their movements and facial expressions are choreographed cool, expressionless. Kept in a rather blackish, monochromatic retro-film colour scheme, the setting of the scooter get-together is a no-man’s land of empty lots of city architecture in geometric concrete and brick patterns, with stretches of waterfront roads – neither private, nor public. There is no visible interaction with the Other, the World. The young men move in unison – swarming – seemingly without plan or strategy, like soldiers on patrol, more or less one with their scooters and in control of their engines. Formations converge, withdraw and regroup to the sound of roaring engines. But the aggressive parade periodically transforms into softer, synchronised dance movements – like a ballet performance. In between, they take breaks and hang out, fiddling with their mobile phones and other gadgets, and posing with their AirPods and designer bags. There is some prancing and display of bike acrobatic tricks, some speeding and loud engine noises, but no dialogue, no central leader of the pack, no plot, no interaction – a bunch of guys doing their own thing, alone together. The only woman here is the one behind the camera, watching this male "parade".
Among mammals, the parade and display of seductive features necessary to win the favours of the female during mating rituals include staged activities such as movements and sounds – not unlike what we are witnessing here. During his "parade", Man tries to project the ideal or typical male behaviours, and to give the impression that he is who he says he is. Lacan observed in one of his famous Séminaires that Man cannot escape the tension between that which he thinks the Other – the woman or the social environment – expects of him (i.e. to be a Man, a Real Man, a Macho), and that which he (fears he) is in reality: weak, insecure, exposed. His Ego needs power – Higher Power – from belonging to, and status in, a group and a shared community. What roles do these young adults have within society, generally speaking, and within their group? In the absence of any narrative or dialogue, we can only observe this parade. At multiple distances (the gaze of a Female, German, in Amsterdam), we become spectators to the coded language of features required within that group for enough power to be a surviving male here and now.
To establish a parallel between the natural laws of the animal kingdom and the laws of civilized man, Rudelius expands on the video in the show with a group of drawings. Originally accompanied by a suggestive voice-over, these drawings are like thinly outlined, barely surfacing manifestations of the unconscious, the primitive, the forbidden and uncensored – the Id, perhaps. Lions in a pack aggressively fight for sexual dominance. Mating lions are contrasted with a human taboo – that of dominance for recreational, forbidden sex: Rudelius exposes the priest in his frock perverting the power of superior spiritual and moral status, masquerading as good and right, while forcing the young and weak to sadistic abuse. To be cast down. That these despicable practices go on for centuries testifies to the power of a perfect "masquerade".
The other gallery rooms provide for a fascinating review of the following seminal videos spanning 20 years of Rudelius’ creative output: Rites of Passage, 2008, Forever, 2006, Dressage, 2009, Liaison, 2013, Adrift, 2007, Train, 2001. Together, they explore the theme of seduction and power.
Rudelius’ work has been shown in important museum contexts – such as the Tate Modern, London, the Centre Culturel Suisse, Paris, the Kunsthaus Glarus, Switzerland, the Stedelijk Museum Bureau, Amsterdam, and the Frans Hals Museum in Haarlem and recently at the Club Solo, Breda, The Netherlands (text: Elisabeth Hauff.)
You are cordially invited to the exhibition opening with beer and wine on Friday, April 5th, 2019 from 7 to 10 pm.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Exhibition view: Julika Rudelius. Hail Mary Pass, 2019, photo: Bernhard Kahrmann.
Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff
Paulinenstr. 47
D – 70178 Stuttgart
Opening Hours:
Tuesday – Friday: 1 – 6 p.m.
and by appointment
Winter Break:
The gallery is closed from 21.12.2024 until 07.01.2025