Rolf Walz
08.03.1996 - 06.04.1996
"Feedback # 10", eine grossformatige Spiegelarbeit und "Farbige Formen und Rauminhalte # 5", eine von der Decke hängende Wasserbeckenarbeit, leiten über zu den neuesten Zeichnungen von Rolf Walz, die in zwei Räumen präsentiert werden. Die Zeichnungen, die das schon in früheren zweidimensionalen Arbeiten untersuchte Thema der Unzuverlässigkeit von Ordnungskriterien wiederaufnehmen, bestehen aus jeweils zwei (fast identischen) Blättern, in denen das Verhältnis von Original und Kopie problematisiert wird. Jedes Blatt enthält eine Abbildung, die in der einen der beiden Zeichnungen aus einer s/w- oder Farbkopie besteht. Deren Motiv spiegelt sich in dem zweiten Blatt als Abklatsch, meist stark verfremdet, wider. Als neues bildimmanentes Gestaltungselement tritt dabei die in die Bildebene integrierte Schrift auf. Einerseits erscheint sie als maschinell erzeugter Schriftzug, der auf den ersten Blick wie der Titel zu dem darunter sichtbaren Bild wirkt. Andererseits findet sich Schrift in Form von den von Hand in beide Blätter eingestempelten Worten "Original" und "File Copy" wieder.
Durch die Komposition, die von der Verknüpfung von Bild und Schrift und der paarweisen Zuordnung der Arbeiten geprägt ist, ergeben sich mehrere simultan auftretende Irritationsebenen. Die vom Betrachter auf den ersten Blick als Titel identifizierte schriftliche Information erweist sich beim genaueren Betrachten als vom Abbild unabhängig. Diesem Titel als Signifikant für das Signifikat Bild kommt hier keine erläuternde Funktion zu, sondern verunklärt die Bildinformation, die meistens aus einfachen, aus jeglichen Kontexten extrahierten Gegenstandsabbildungen besteht (Beispiel: changing parts). Gleichzeitig eröffnet dieses offensichtliche Missverhältnis zwischen schriftlicher und bildlicher Information aber einen weiten Assoziationsraum. Auf rational nicht fassbare Art und Weise formieren sich einzelne Informationsbruchstücke zu neuen Kontexten, die jenes seltene, von T. W. Adorno formulierte schlaglichtartige Moment der "ästhetischen Wahrnehmung" hervorrufen.
Rolf Walz fügt diesem Irritationsmoment noch eine weitere Ebene hinzu, indem er jedes Blatt mit den Stempelaufdrucken "Original" und "File Copy" versieht, ohne selbst eine eindeutige Zuordnung des jeweiligen Blattes zu einem dieser beiden Ordnungskriterien zu treffen. Die Singularität, die der Begriff "Original" konnotiert, wird der Pluralität des Begriffs "Kopie" in ein und demselben Blatt gegenübergestellt, so dass sich die Bedeutungen im Kontext des Kunstwerks gegenseitig aufheben. So geben die einzelnen Elemente der Blätter (Abbild, Schrift, Stempel) Funktionen vor, die sie bei näherer Anschauung nicht erfüllen: Die gegenseitigen Verweise erweisen sich als blosse Scheinverweise, die zur Verunklärung statt zur Aufklärung der bildimmanenten Sachverhalte führen: Es kommt weder zu einer Unterscheidung von Original und Kopie zwischen den beiden zueinandergehörigen Blättern, noch zu einer inhaltlichen Verknüpfung von Abbild und der zugeordneten sprachlichen Information. Die vorgespiegelte Einheit des Kunstwerks zerfällt in die Vielheit autonomer Gestaltungselemente. Die Ordnungskriterien erweisen sich als Un-Ordnungskriterien und ihre Funktionen werden destruiert. Oder, wie J. Meinhardt treffend formulierte: "The destruction of language (of image) makes visible higher organizations of ambiguos multiple networks that can no longer be reduced to simple subject matter. Instead, complex, polyvalent, plural perceptions and readings are made possible." (1)
Die vielschichtigen Irritationen, die Unordnungen in Rolf Walz' Zeichnungen drängen den Betrachter dazu, selbst ordnend einzugreifen, um die gewohnte rationale Betrachtungsweise wiederherzustellen. Durch das gleichzeitige Auszeichnen der Blätter sowohl als "Original" als auch als "File Copy" wird dem Betrachter jedoch ein modus operandi auferlegt, der ihm wiederum nur ein scheinbares Ordnungs-Instrumentarium zur Verfügung stellt. Letztendlich muss eine willkürliche Setzung darüber entscheiden, welches der beiden zusammengehörigen Blätter das Original und welches die Kopie ist. Auch die Aufteilung von "Original" und "Kopie" auf die beiden unterschiedlichen Räume bedeutet kein gültiges Zuordnungsschema: Es wird nicht klar, welcher Raum Originale oder Kopien beherbergt. Jede Setzung führt ausserdem auf eine weitere Irritationsebene: würde der Betrachter die bessere Abbildungsqualität als Merkmal des Originals definieren, so trüge das solchermaßen eingestufte Blatt das Attribut "Original" zu Unrecht, da die Abbildung bereits die maschinell erstellte Kopie einer reproduzierten Vorlage ist. Das davon im Abklatschverfahren hergestellte Abbild im demnach als "File Copy" bezeichneten Blatt ist zwar in der Tat eine weitere Kopie, trägt jedoch als manuell bearbeitetes Bild die deutlichen Spuren eines künstlerischen Eingriffs und würde somit in der herkömmlichen Kunstauffassung eher als Original bezeichnet werden. Das nach Walter Benjamin Einzigartige eines Kunstwerks (Originals), das Auratische, würde also eher dem als Kopie definierten Blatt anhaften. Bei der Betrachtung der immanenten Zuordnungsverweise werden die Kategorien von Original und Kopie ständig zum Kippen gebracht, verlieren auf dem Hintergrund der Zeichnungen ihre Bedeutung und werden in einer Art semantischem Vexierbild nivelliert. Die reduktionistische einfache Verwendung der symbolischen und semantischen Gestaltungselemente legen die vielfältigen Irritationsebenen in den Zeichnungen frei und ermöglichen gleichzeitig eine ausserordentlich präzise Werkaussage.
Thomas Donga
(1) Johannes Meinhardt, "The Noise of Pictures -The Material Images of RolfWalz'', in: ARTS-MAGAZINE, New York, NY, October 1991, page 58.
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