„Beklemmende Fiktion männlicher Wirklichkeit“ von Julia Behrens, KUNST MAG, 12.06.2023

13.05.2023 - 16.07.2023

Solo Show „Julika Rudelius – in the days of the bullies“

KUNST MAG

Edle Säle, hohe Spiegel, Ledersessel, Klaviermusik. Wir befinden uns in exklusiven, offensichtlich Männern vorbehaltenen Räumlichkeiten. Ältere Herren erteilen Ratschläge an junge Aspiranten, alle in Schlips und Kragen, versteht sich. In vertraulichen Zweiergesprächen wird der nächsten Generation vermittelt, was es braucht, um eine charismatische Führungsfigur in der Politik zu werden. Mit gruseligem Selbstverständnis und übergriffiger Körpersprache fegen die Alten den Idealismus der Jungen hinweg. „Sie müssen an Dich glauben, nicht an das, wofür Du stehst“, so das Fazit.

Zu sehen ist das alles in der Videoarbeit „Rites of Passage“ von Julika Rudelius (* 1968). Die Installation ist Teil der Ausstellung „… in the days of the bullies“, in der die Künstlerin von Mitte Mai bis Mitte Juli eine thematische Werkauswahl in der Esslinger Villa Merkel zeigt. Man ahnt es schon: Es geht darin in erster Linie um gesellschaftliche Rituale und menschliche Verhaltensweisen, die von männlichen Machtstrukturen geprägt sind.

„Mir war es wichtig, diesen wesentlichen Aspekt in Julika Rudelius‘ Werk nachzuzeichnen“, erklärt Kurator Johannes Kaufmann dazu im Gespräch. „Denn schon lange vor der #MeToo-Debatte hat sich die Künstlerin mit diesem Thema beschäftigt.“ Den Ausgangspunkt machte Rudelius‘ erschütterndes Video „Train“ von 2001. Darin lauscht man der Unterhaltung von vier jungen Männern, die sich während einer Zugfahrt in unglaublich herablassender Weise über ihre erotischen Erfahrungen mit einer Reihe von Mädchen austauschen. Als Zuschauer nimmt man die Perspektive von Mitreisenden ein, die unfreiwillig Zeuge der abgründigen Konversation werden.

Wie bei „Rites of Passage“ von 2008 handelt es sich bei Rudelius‘ Aufnahmen nie um echte Dokumentationen, sondern um nachgespielte Situationen, die auf Erlebnissen oder Erfahrungen der Künstlerin beruhen. Für jede Produktion sucht sie Laiendarsteller, denen sie Anweisungen gibt und die sie manchmal – wie bei „Train“ – dazu ermuntert, in ihrem Spiel zu übertreiben. Dementsprechend fließend sind die Grenzen zwischen Fiktion und Wahrheit, scheinbar kaum von den Mitwirkenden, noch weniger von den Zuschauenden wahrnehmbar.

Das ist auch in dem Video „Liaison“ von 2013 der Fall, in dem Paare in einem großen lichtdurchfluteten Haus im Grünen mit automatischen Waffen spielen und diese wie Fetische behandeln. Oder im Gruppentherapieformat „It is true, because I feel it“ von 2021, in dem unterschiedlich alte Männer und Frauen diverse Paarübungen absolvieren und ihren Emotionen freien Lauf lassen. In der Rezeption ist man durch die Kameraführung ganz nah dran, taucht mittels immersiven Sogs förmlich ein und bleibt dennoch in einem zwischen Neugier, Beklemmung und Widerwillen oszillierenden, eigenen Raum.

„Es ist keine Wohlfühlausstellung, aber eine, in der man viel fühlen wird“, fasst Kurator Johannes Kaufmann zusammen.

Julia Behrens ist Kunsthistorikerin und interessiert sich besonders für den Aspekt der Kunstentstehung. Sie schätzt das Gespräch mit Künstlern und geht gern ins Atelier.


Film still: Julika Rudelius: „It is true because I feel it“, 2021, ed.no. 1/5 + 2 AP, 4K video, 5.1 surround sound, 17:25 min., Courtesy: the artist.

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